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SST109 – Transgender Interview Teil 1 mit Kathi – Real Talk über Outing, Umfeld, Pubertät, Sexualität, Operation
„Mein Körper ist ein Geschenk“, sagt Kathi Vollgraf. Okay, das ist nicht gerade ein Satz, den ich erwartet habe, aus dem Mund einer Transgender-Frau. Und doch zeigt er so Vieles. Zum Beispiel, dass Weiblichkeit tiefer geht als äußerliche, körperliche Merkmale. Oder: dass man auch in den schmerzhaftesten Prozessen das Positive – das „Geschenk“ – sehen kann. Oder: dass jede Erfahrung, die man in seinem eigenen Leben durchlebt hat, irgendwann dazu da sein kann, anderen Menschen zu dienen und zu helfen…
Aber fangen wir von Vorne an.
„Eine Transgender-Frau auf meinem Retreat…? Geht das…?“
Ich habe Kathi zum Interview eingeladen, weil sie Teilnehmerin meines letzten Retreats war, das ich im März in Berlin veranstaltet habe. Sie hat mich im Februar zum Vorgespräch angerufen und mir ihre Geschichte erzählt: Sie ist 41 Jahre, hat sich vor fünf Jahren als transgender geoutet und ist seither im Wandlungsprozess vom Mann zur Frau. Anatomisch ist sie zum Teil noch ein Mann, im Herzen und der Seele aber weiß sie seit ihrer Kindheit, dass sie eigentlich eine Frau ist. Mein erster Gedanke: „Mega spannend!“ Mein zweiter Gedanke: „Kann ich sie auf mein Frauen Retreat mitnehmen?“ Mein dritter Gedanke: „Was sagen die anderen Frauen dazu?“
Die erste Überraschung für mich: Kathi hat die gleichen Gedanken und wir können völlig offen darüber reden, was unsere Bedenken sind. Schon in diesem ersten Vorgespräch habe ich das Gefühl: Es gibt keine Tabus. Kathi ist völlig klar, erzählt alles über ihre eigene Entwicklung, ich kann alle Fragen stellen, die mir wichtig sind und wir können völlig frei und ohne Hemmungen kommunizieren. Das gibt den Ausschlag dafür, dass ich sie auf unser Retreat mitnehme. Und diese Entscheidung hat sich gelohnt.
Ich muss dazu sagen, ich habe durch meine Sexological Bodywork Ausbildung bereits transgender Personen kennen gelernt und mit ihnen gearbeitet. Für mich waren diese Begegnungen immer unglaublich inspirierend und auf der anderen Seite nicht einfach, weil ich selber anfangs oft in Fettnäpfchen getreten bin – zum Beispiel eine Frau mit „er“ angesprochen habe, oder umgekehrt. Mit Kathi ist der Umgang aber total einfach und unkompliziert. Vor allem, weil sie so einfach und unkompliziert mit ihrer Sexualität und Identität umgeht.
Vertraut mit zwei Welten
„Mittlerweile kann ich meine Transidentität als Geschenk annehmen“, sagt sie, „meine einzigartige Erfahrung erlaubt mir, die Welt aus zwei Perspektiven wahrzunehmen. Ich weiß, wie es ist, als Mann durch die Welt zu gehen. Was von Männern alles erwartet wird. Wie hart es ist, ein Mann zu sein…Männer müssen stark sein, das Geld ranschaffen, am besten natürlich auch gutaussehend und muskelbepackt auftreten. Sie müssen alles können, immer Lösungen finden und sollen gleichzeitig noch total sensible Familienväter sein. Die Welt ist nicht einfach für Männer. Auf der anderen Seite darf ich jetzt endlich die Welt aus Sicht einer Frau ansehen, meine eigene Weiblichkeit voll ausleben und mich total auf zärtliche, sanfte, gefühlvolle, sensible, intime Begegnungen einlassen. Darf es genießen, Röcke zu tragen, meine Nägel zu lackieren und meine Haare lang wachsen zu lassen.“
Dass Kathi jetzt an diesem Punkt ist, hat lange gedauert und war mit vielen – vor allem seelischen – Schmerzen verbunden, über die sie in der Rückschau ganz offen berichtet.
Ein Mädchen im Jungenkörper
Schon seit sie ein kleines Mädchen ist, weiß sie, dass sie im falschen Körper steckt. Mit acht Jahren will sie lieber zum Ballett und zu den Pferden, als mit den anderen Jungs die „Jungsdinge“ zu machen. Weil sie aber in den 70er Jahren aufwächst, kann ihre Umgebung damit noch nicht wirklich was anfangen. Anders als heute, wo Transidentität ein mittlerweile relativ geläufiger Begriff ist, war es in den 70ern und frühen 80er Jahren noch ein Thema, mit dem die Menschen nichts anzufangen wussten. Für Kathi hieß das: Sie fühlt sich immer irgendwie falsch. Als sie in die Pubertät kommt, wird es noch offensichtlicher: Die Mädchen in der Klasse wollen sie nicht wirklich, weil sie ja ein Junge ist. Die Jungen finden sie irgendwie doof und komisch, weil sie lieber tanzt und viel sensibler ist als die „normalen Jungs“. Sie fühlt sich nicht zugehörig.
Als sie sich verliebt und ihre ersten Freundinnen hat, stößt sie an völlig neue Probleme. „Die Liebe zu den Mädchen war ja da. Ich wollte sie berühren und mit ihnen zusammen sein, aber ich konnte mit meinem eigenen Körper nichts anfangen“, erzählt sie. Die ersten sexuellen Begegnungen fühlen sich irgendwie immer falsch an. Die jungen Frauen, mit denen Kathi zusammen ist, fühlen sich auch nicht vollständig wohl: „Die haben natürlich einen Mann erwartet. Sie haben mich ja auch als Mann gesehen. Sie wollten beim Sex auch mal ‚hart genommen‘ werden. Wollten, dass ich mal den Ton angebe und ‚sage ‚was Sache ist‘. Ich habe mich selbst nur nie als der dominante Part in einer Beziehung gesehen“, erzählt Kathi. Das hat die Beziehungen natürlich belastet.
… und der Sex als Transgender?
Sex war für Kathi als Transgender immer ein schwieriges Thema. Auf der einen Seite genießt sie sexuelle Begegnungen, Berührungen und Intimität. Auf der anderen Seite weiß sie: „Mit meinem Penis identifiziere ich mich überhaupt nicht.“ So auch nicht mit ihrem männlichen Orgasmus. Auf Tantraseminaren und beim Orgasmic Yoga, das sie praktiziert, kann sie sich mittlerweile mehr fallen lassen und mit sich selbst intime Momente erleben, sich ihrer Lust hingeben. Sobald aber eine zweite Person hinzukäme, würde sich die Situation wieder ändern. Ihre letzte Partnerin hat ihr allerdings rückgemeldet:
„Kathi, es ist unmöglich in dir einen Mann zu sehen, auch wenn du anatomisch noch nicht hundert Prozent eine Frau bist. Die Art, wie du berührst, ist durch und durch weiblich.“
Das zeigt, dass Weiblichkeit wirklich nichts mit Äußerlichkeiten zu tun hat.
Outing heißt: Das Außen dem Innen anpassen
Trotzdem war es Kathi natürlich wichtig, irgendwann in ihrem Leben auch äußerlich dazu zu stehen, wie sie sich innerlich fühlt. Dieser Punkt kam vor fünf Jahren. „Es war ein Punkt in meinem Leben, an dem es mir psychisch schon so schlecht ging, aufgrund des jahrelangen Verstellens und Rollen-Spielens – dass ich einfach handeln MUSSTE. Weil ich aber bereits so lange sicher war, dass ich eine Frau bin, ging dieser Prozess dann in Wahrheit sehr sehr schnell. Es musste einfach nur der Stein ins Rollen gebracht werden.“ Das tat Kathi damals mit einer E-Mail, die sie an alle ihre Verwandten, Freunde und Bekannten verschickte. Sie offenbarte in kompletter Ehrlichkeit, wer sie wirklich ist, und informierte ihr Umfeld auch darüber, was jetzt auf sie zukäme.
„Ich denke, dass es als Transgender unglaublich wichtig ist, das Umfeld miteinzubeziehen und es über die Schritte aufzuklären, die anstehen.“ In Kathis Fall war das konkret zunächst eine Hormonbehandlung. Diese regt das Wachstum der Brüste an, verringert das Haarwachstum und macht die Haut sensibler und empfindsamer. „Die konkrete Wirkung der Hormone ist natürlich von Frau zu Frau unterschiedlich. Ich hatte das Glück, dass meine Stimme immer schon sehr hell und feminin war und ich wenig Bartwuchs hatte. Mein Körper ist einfach ein Geschenk, mir nimmt man die Frau nämlich tatsächlich ab. Viele andere haben nicht so viel Glück“, sagt Kathi.
Auch in die andere Richtung – also in der Anpassung von einer Frau zu einem Mann, sieht der Weg für alle individuell aus. „Bei Transgender-Männern – also ein Mann im Körper einer Frau – hat eine Hormonbehandlung zur Folge, dass der Stimmbruch einsetzt und das Haarwachstum angeregt wird. Aber wie genau die Veränderung verläuft, ist natürlich von Person zu Person unterschiedlich.“
Die „große OP“ kommt noch
Die „finale Geschlechtsanpassung“ hat Kathi noch vor sich – sogar bald. „Das tue ich vor allem, weil ich so einfache Dinge machen will wie in die Sauna gehen, oder im Schwimmbad liegen, ohne, dass ich komisch angeschaut werde“, sagt sie. Angst hat sie keine. Die haben stattdessen eher ihre Eltern. Sie unterstützen Kathi zwar uneingeschränkt auf ihrem Weg. Ihre Sorgen sind aber trotzdem da: „Was, wenn bei der OP was passiert. Da hast du doch sicher Schmerzen…“, und so weiter. Grundsätzliche Ablehnung für ihr Wesen hat Kathi von ihren Eltern allerdings nicht erfahren. Auch die meisten Menschen in ihrem Umfeld haben total unterstützend reagiert und Kathi bestärkt und aufgefangen.
Nur sehr wenige haben sich von ihr abgewendet. „Diese Wenigen leben eben in einer völlig anderen Lebensrealität, das muss ich akzeptieren, auch wenn es hart ist“, sagt Kathi.„Trotzdem bin ich glücklich über meinen Weg und sehe, wie weit ich schon gekommen bin. Mittlerweile kann ich bereits zurückblicken und einige der Geschenke erkennen, die mir mein ‚Schicksal‘ gemacht hat. Ich sehe mittlerweile meine Berufung darin, Aufklärungsarbeit zu leisten und andere Menschen zu unterstützen, die einen ähnlichen Weg gehen“, sagt sie.
(Text von Edith Schachinger)
Wow, was für eine Story!! Was sagt ihr?
Nächste Woche gibt’s den zweiten Teil unseres Gesprächs und Kathi beantwortet auch die Fragen, die ihr mir über Instagram und Facebook zum Thema Transidentität gestellt habt. Ihr erfahrt, wie eine OP abläuft, wie der Sex mit Neo-Vagina funktioniert, was sexuelle Orientierung und Transidentität miteinander zu tun haben und wie wir alle als Gesellschaft daran arbeiten können, Transgender offener gegenüberzutreten und mehr Aktzeptanz in unser Leben einzuladen.Ich bin jetzt schon SO inspiriert und dankbar, Kathi im Podcast zu Gast zu haben und unglaublich viel Bereicherndes von ihr lernen zu dürfen…
Wie geht’s euch damit? Inspiriert euch Kathis Geschichte? Kennt ihr transgende Personen in eurem Leben? Oder seid ihr vielleicht sogar – wie ich – auch schon mal in das eine oder andere Fettnäpfchen getreten? Ich freue mich über eure Kommentare!
Du möchtest Kathi kontaktieren?
Dann findest du sie auf diesen Plattformen:
Katharina, Coaching – www.seelenwelt.net
Youtube – https://www.youtube.com/channel/UCdPGn7Ur3cqGskSFOqpZC4g
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Weitere Podcast Episoden findest du hier.
Liebe Grüße Kathrin Ismaier